Sonntag, 2. Dezember 2012

Warum wir basteln (aus Sicht der Frau)

Philosophische Probleme entstehen häufig dadurch, dass wir auf scheinbar simple Fragen intuitiv ganz unterschiedliche, teilweise sogar widersprüchliche Antworten geben. Ich stelle mal die Frage: „Lohnt es sich zu basteln?“ Spontan sind wir geneigt, „Ja, weil … (siehe unten)“ ebenso wie „Nein, weil … (siehe unten)“ zu antworten.

Jede/r Zweijährige (und jedes betroffene Elternteil *g*) weiß, dass „SELBA MACHEN“ das absolut Großartigste der Welt ist. Die Frage ist, wann und vor allem weshalb dieser mit einem gigantischen Glücksgefühl gepaarte Drang nachlässt…
 
Okay – ich gebe zu, irgendwann lässt einfach die Faszination nach, alleine aus einem Wasserglas trinken zu können ;-)

Warum wir basteln?! Da gibt es etliche Gründe, Till hat sich ja schon ausführlich über den Charme, Dinge so aussehen zu lassen, wie man sie tatsächlich haben will, ausgelassen. Ich finde auch, dass der Grad des investierten Aufwands häufig (z. B. beim Schleifen *g*) von anderer Dimension ist im Vergleich zur „gekauften Leistung“.

Aber auch noch etwas anderes…
Ich stamme aus einer Familie, in der viel Selbermachen (auch aus ökonomischen Gründen heraus) angesagt war. Was hätte ich darum gegeben, als Kind mal eine stinknormale Jeans statt selbstgenähter Hosen tragen zu dürfen! ;-)

Aber andererseits erinnere mich sehr gut daran, wie ich mal heulend aus dem Kindergarten heimgekommen bin – weil ich beim Abschluss-Gebet die Hände nicht falten konnte mit den üblichen Fäustlingen ;-) Und meine Oma hat sich hingesetzt und mir über Nacht kleine Fingerhandschuhe gestrickt, jeder Finger in einer anderen Farbe. Diese habe ich jetzt neulich mit zu uns genommen, und in ein, zwei Jahren werden sie Rike passen und ich werde ihr diese Geschichte über die Uroma, die sie leider nicht mehr kennenlernen konnte, erzählen.

Genauso war es bei uns irgendwie üblich, dass man sich a) mit eher kleineren und b) vor allem selbstgebastelten Geschenken beglückt hat. So kann meine Schwester noch mindestens ein weiteres Jahrzehnt lang von den 25 Paar selbstgehäkelten Topflappen zehren (die peinlichen gestrickten Bettschuhe verschweigen wir besser…) ;-) Und schon Rike weiß genau, dass ihre Tante ihr dieses phantastische Tier-Mobile und ihre Lieblingstasche gemacht hat. Ich würde NIEMALS den Schal, den mir meiner Freundin Martina gestrickt hat, entsorgen!
Für mich ist es irgendwie schon eine andere Art der Beziehung, die zu selbst gebastelten Dingen besteht. Zumindest geht es mir auch so, wenn ich selber etwas (für andere) bastle.

Excaliburs Scheide, das "Gewand" des Schwertes von König Artus, war aus Leder, verziert mit Goldstickerei, genäht von Artus' Halbschwester Morgaine le Fay, und sie war mit einem magischen Zauber versehen, der Artus die Gabe verlieh, wenig bis kein Blut zu verlieren wenn er verwundet war – dieser ist beim Basteln (Synonym für Nähen *g*) eingewoben worden ;-)
Warum wir basteln?! Ich finde sogar, der von Till beschriebene Charme geht noch weiter. Nämlich dahin, etwas erschaffen zu können, das es vielleicht kein zweites Mal gibt, zumindest kein weiteres Mal in exakt dieser Art. So ist zum Beispiel die von Claude Shannon inspirierte „ultimate (most senseless) machine“ die mir mein bester Mann gemacht hat so ziemlich das ultimativste Geschenk das ich je bekommen habe:

 
Warum wir basteln?! Ich habe mal eine Gute-Nacht-Geschichte für’s Kind geschrieben. Das habe ich jemandem erzählt. Der meinte: „Du weißt schon, dass es so was käuflich zu erwerben gibt?“ Neeeeeeeeee, ächt jetzt? Na hätte ich das vorher mal gewusst! Da hätte ich ja jede Menge Zeit sparen können, aber wirklich!

Klar, es ist vollkommen anmaßend ein Urteil darüber zu bilden, ob gekaufte Geschenke „schlechter“ sind als selbstgemachte, das ist auch Blödsinn. Schließlich ist vieles auch eine Frage der Kapazität (oh ja!). Aber vielleicht bin ich doch so geprägt, dass ich denke, etwas, das der andere FÜR MICH gemacht hat, mit seinen eigenen Händen, ist mehr wert – weil er mir seine Zeit und auch seine Gedanken zu dem Gegenstand dazu geschenkt hat, und das ist etwas, das wirklich unbezahlbar ist! Und so denke ich auch, wenn ich für jemanden etwas bastle.
Zwei Ks – Kommerz und Kreativität. Nein, die schließen sich nicht aus, so meine ich das nicht! ;-) Aber ich glaube schon, dass Frickeln die Kreativität fördert. Auch das Denken: WAS will ich machen und WIE muss ich es machen, WAS brauche ich, WIE sieht die Konstruktion aus, WAS muss ich beachten? Aus Fehlern lernen gehört auch dazu (mein Mann zum Beispiel fertigt prinzipiell bei Möbelstücken aus teurem Holz zuvor einen billigen Prototypen aus MDF an – aus gutem Grund), zusammen mit einer gewissen Akzeptanz, dass das Ergebnis vielleicht doch nicht ganz so perfekt geworden ist (siehe unten) . . . Und dann webt man doch ganz automatisch den Zauber ein, der unverwundbar macht… ;-)

Gerade jetzt, vor Weihnachten, mal eine gute Zeit zum Reflektieren. Heute Morgen, als ich beim Bäcker eingekauft habe, groß in der BAMS: „Geschenkideen für jeden“ (zumindest sinngemäß). Also ehrlich, wenn ich nicht mal eine Idee habe, was ich einem anderen Menschen schenken soll (und der mir ja vermutlich etwas bedeutet, sonst würde ich ja nichts schenken wollen) – vielleicht sollte ich es dann besser lassen??

Ich habe also am Wochenende (leider sehr laienhaft) zur Japansäge, Stechbeitel und Feile gegriffen (die Schleiferei und Ölerei erwähnen wir am Rande) und mich an den „Tierformen für Einsteiger“ versucht („DAS GROSSE BUCH DER HOLZARBEITEN“ von Chris Simpson), nachfolgend in verschiedenen Stufen der Fertigstellung zu betrachten (als Unter-/Hintergrund übrigens die selbstgenähte, unverkäufliche, Neid hervorrufende von meiner Schwester genähte Krabbeldecke, um beim Thema zu bleiben *g*):

 
Die bekommt Rike an den Adventssonntagen – für einen Adventskalender ist sie noch zu klein, finden wir.

Zweifellos, im Handel befindliche Exemplare sehen deutlich besser aus. Einmal im CAD konstruiert, tausende Male unverändert produziert.
Aber ehrlich, ich erinnere mich zwar noch an die Geschichte, wie ich meinen ersten BH gekauft habe – aber nicht mehr exakt daran, wie ich was-auch-immer für wen-auch-immer gekauft habe. Hier möchte ich auf Pirsig („ZEN und die Kunst ein Motorrad zu warten“) verweisen, von dem ich gelernt habe, dass Qualität ein EREIGNIS und keine Sache ist. (Wobei eins meiner Lieblingszitate auch aus diesem Buch stammt: „You want to know how to paint a perfect painting? It’s easy. Make yourself perfect and then just paint naturally. That’s the way all the experts do it.“ *grins*)

Warum wir basteln?! Weil’s einfach Spaß macht?!?!?!?!? J Weil man in einen „Flow“ gerät und es einfach ein Gefühl ist, wie zum ersten Mal alleine aus einem Wasserglas zu trinken, wenn am Ende des Tages etwas dasteht, das man selbst gebaut hat (selbst wenn es viel individueller ist als geplant weil der Mann jemand die Vorlage des Hundes falsch kopiert hat *hüstel*)? Eine autotelische Tätigkeit, die Aktivität als Ziel, die Handlung des Bastelns rechtfertigt das Basteln… Ich meine, wir haben keinen Fernseher – aber mir hat bisher auch noch niemand wirklich erklären können, was es einem bringt, Zeit davor zu verbringen (außer Zeit davor verbracht zu haben).
Ein Freund von mir hat in seiner Jugend Fliesenleger gelernt, dann Architektur studiert, ein paar Jahre als Architekt gearbeitet – um nun wieder als Fliesenleger tätig zu sein, weil er das Gefühl am Abend, wenn er auf x m² neues Bad schaut, so unendlich viel befriedigender findet…

Ach ja – zu Weihnachten wünsche ich mir eine Laubsäge… J Die Pläne was ich mit der so alles realisieren möchte sind schon in meinem Kopf! Und der Mann kriegt das Okay für eine kleine Bandsäge, wenn ich mal Blasen an den Fingern habe.
Warum wir basteln?! Weil heute Sonntag ist und die Läden folglich geschlossen sind, was bedeutet, ich kann keine schönen Tiere für Rike kaufen! ;-)

Um auf die Eingangsfrage zurück zu kommen: Klar lohnt es sich!
Oder auch: Genug philosophiert, hinunter in den Keller! J

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