Spielerfrau,
Waffenhändlerin, Unterwäschemodel – in meinem nächsten Leben werde ich einen
anständigen Beruf lernen!
Seltsamerweise
habe ich noch nie jemanden getroffen, der auf „Ich habe Kunststofftechnik
studiert!“ mit „Wow! Cool!“ geantwortet hat. Wohlwollende Worte klingen meist
„Ehrlich – das kann man studieren?!?!?!?“, weniger wohlwollende gehen häufig in
Richtung des Titels. Damit wächst der normale Maschinenbauer auf. Das ist sein
Mantra, von dem er nie mehr abrücken wird. In seltenen Fällen kommt Aluminium in
Frage, in anderen, wenn’s denn nicht rosten darf, Edelstahl. Das war’s dann
auch schon.
Wenn
ich jetzt hier ein Plädoyer für Polymere halte, könnte ich mich dem – natürlich
korrekten – Vorwurf der Befangenheit aussetzen. Also sage ich nur so viel:
Kunststoffe sind tolle Werkstoffe, ABER man muss sie halt richtig einsetzen.
Und ihren manchmal schlechten Ruf haben sie, weil genau dieser letzte Punkt
häufig nicht berücksichtigt wird. Am Anfang muss immer die genaue Definition
der Anforderungen stehen: Temperatur, Bauteiltoleranz, Umgebung, sonstige
Anforderungen (z. B. chemische Beständigkeiten) usw.
Was
das in einem Bastelblog zu suchen hat? Eigentlich wenig, wenn ich nicht gestern
die Bastelzeit damit verbracht hätte, Grundlagen aus dem Grundstudium
anzuwenden – denn solange ich noch dieses Leben und nicht das nächste lebe,
werde ich damit wider Erwarten doch ab und an mal konfrontiert… :-)
Aufgabenstellung:
Ändere den Grad der Sorgenfalten auf des Mannes Stirn.
Im
Rahmen eines Projektes gibt es ein paar unerwartete Messdaten, deren
Ursachenfindung nicht einfach ist. Unter anderem wurde ein nicht spezifiziertes
Polymer in einer recht anspruchsvollen Umgebung eingesetzt, woraufhin mein
Ehrgeiz natürlich geweckt war.
Kunststoffe
identifizieren geht am einfachsten in einem dafür spezialisierten Labor mit feinster
Analytik. Blöderweise leider auch der zeit- und insbesondere geldintensivste
Weg, zu einer Antwort zu gelangen. Es geht in Teilen, die weiter sind als man
denkt, auch anders, und insbesondere DIE Laborpraktika habe ich nicht vergessen :-)
Erster
Eindruck: Es handelt sich um ein graues Polymer, das als Rundmaterial vorliegt.
Oberfläche nicht paraffinartig, kann mit dem Fingernagel nicht eingeritzt
werden, klingt beim Fallenlassen nicht metallisch sondern eher dumpf und geht
in Wasser unter. Damit können Polyethylen sowie Polypropylen schon mal
ausgeschlossen werden.
Die
Probe lässt sich spanend bearbeiten, wobei der Span nicht bricht:
Und
die Dichte des schön abgedrehten Zylinders wird mit 1,37 g/cm³ bestimmt. Was
auf PET, PVC, PES oder irgendeinen anderen Kunststoff, der als Copolymer/Blend
oder mit Füllstoffen vorliegt, hindeutet…
Weiter
zur Brandprobe, der Teil, an den ich mich noch sehr gut aus meinem Studium
erinnern kann. Bei der Beurteilung geht es um das Brennverhalten an sich:
brennt, brennt nicht, brennt nur in der Flamme, brennt auch außerhalb, rußt,
schmilzt, tropft dabei, zersetzt sich und so weiter. Ein ganz wichtiges Indiz
ist dann der Geruch, da dieser sehr häufig sehr typisch ist.
In
unserem Fall lässt sich die Probe entzünden, brennt auch außerhalb der Flamme
selbständig mit gelblicher Flamme weiter, schmilzt tropfend UND stinkt nach verbranntem
Horn (einfach mal Hufspäne anzünden – vergisst man nie im Leben ;-) ). Letzteres
ist ein ziemlich deutlicher Hinweis auf Polyamid. Hmmm…
Polyamid
lässt sich mit Ameisensäure kleben. Wäre ein Versuch wert, um die Vermutung verifzieren zu können. Blöderweise keine Ameisensäure im Haus (?!?!?!?). Aber es
gibt eine Apotheke, die am Samstag Nachmittag geöffnet hat. Während der Mann
sich überlegt, ob man mir wohl ne 30%-ige Lösung anvertraut, komme ich zu
seinem Entsetzen mit reiner, wasserfreier Ameisensäure nach Hause (verhandeln
kann ich *g*). Das Zeug ist in höchstem (!) Maße ätzend, da sollte man so
konzentriert wie die Lösung sein und selbstverständlich mit Sicherheitsbrille
und Handschuhen arbeiten (und möglichst keine Kunstfasern tragen…). Schöner Gag
am Rand: Ich hole meine Sicherheitsbrille aus dem Etui und stelle fest, dass
der Metallbügel gebrochen ist… Daher
die dunkle Alternative:
Folgendes
Ergebnis:
Der
Kunststoff wird angelöst / schmilzt!
Der
Verdacht erhärtet sich und ich tippe stark auf ein gefülltes / verstärktes PA. Da
gibt es gängige Typen, die mit Glasfasern gefüllt sind. Und – Bingo – PA 6 GF30
hat zufällig auch die passende Dichte mit 1,36 - 1,37 g/cm³. Da muss man immer ein bisschen vorsichtig sein, weil viele Eigenschaften natürlich herstellerspezifisch sind.
Eine
200-fache Vergrößerung der abgedrehten Fläche zeigt, yep, könnte sein:
Polyamid
ist ein toller Werkstoff, der auch häufig im Maschinenbau Anwendung findet. Besonders
weil er eine gute Festigkeit und thermische Beständigkeit aufweist, schlagzäh
ist, über ein gutes Gleitreibungsverhalten verfügt und sich gut verarbeiten
lässt. Bisschen blöd ist allerdings die Wasseraufnahme. Die kann je nach Typ und
Modifikation fast bis zu 10 % bei Wasserlagerung betragen und bei Normklima
schon so bis zu 3 %. Heißt für die Verwendung / Konstruktion: DAS muss
berücksichtigt werden. Bei unverstärktem PA (z. B. Ultramid A und B) beträgt
die Volumenänderung max. 0,9 % und die mittlere Längenzunahme 0,2 – 0,3 % pro Gewichts%
aufgenommenem Wasser. Glasfaserverstärkte Varianten sind deutlich maßstabiler,
hier hängt es allerdings ganz stark von der Verteilung der Faser im Kunststoff
ab, wie sich die Maße ändern.
Wie
auch immer: Wasseraufnahme ist ebenfalls ein Indikator für PA und natürlich für
den spezifischen Einsatzzweck sehr wichtig.
Um
die Messung zu beschleunigen (Geduld ist nicht meine Stärke) knapp 5 g Späne
genommen, gewogen, 90 min im Backofen bei 70°C getrocknet und wieder gewogen, auf
eine Differenz von ziemlich genau 2 % gekommen und dann die Späne für 2 h in Hahnawassa
gelagert. Das ist dann der Punkt, wo man sich denkt: So weit, so gut – aber wie
kriege ich jetzt das verdammte Wasser heraus??? Mit Druckluft abpusten dürfte
zu hohem Materialverlust führen. Also Späne ins Sieb der Teekanne gestopft,
zwei Mal mit Spiritus übergossen und dann trocknen / abdampfen lassen.
Ich
gebe zu, hier leidet die Präzision, aber ein Wert von 6,5 % Wasseraufnahme bei
Wasserlagerung stimmt recht gut mit der Kern-Datenbank überein.
Fazit: Vieles deutet
darauf hin, dass es sich bei dem betrachteten Material um ein PA 6 mit 30 %
Glasfasern handelt. Es kann natürlich auch irgendein anders verstärkter PA
oder gar ein verstärktes Copolymer oder was vollkommen exotisches sein, aber man
darf sich auch gerne an Wahrscheinlichkeiten orientieren ;-)